Buchempfehlung

Buchrezension: Gottes Umzug ins Ich

Malte Nelles’ „Gottes Umzug ins Ich“ ist ein facettenreiches Buch mit vielen Beispielen aus seiner psychotherapeutischen Praxis, das sich mit der tiefen Sehnsucht des modernen Menschen nach dem Absoluten auseinandersetzt.

Nelles geht davon aus, dass diese Sehnsucht, die früher auf Gott projiziert wurde, heute dazu führt, dass der moderne Mensch versucht, das Göttliche in sich selbst zu verorten und es etwa mit dem technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte oder anderweitig in der Welt sichtbar zu machen. Der Autor betont, dass dieser unbewusste Anspruch letztlich zum Scheitern verurteilt ist. Die kognitive Dissonanz zwischen dem echten menschlichen Ich und dem illusionären Gottes-Ich kann nicht überbrückt werden. Die daraus resultierende Unzufriedenheit und Selbstentfremdung treiben den Menschen in eine endlose Raserei und neurotisches Verhalten.

Nelles’ Lösung für diese neurotische Selbstentfremdung liegt in der Rückbesinnung auf die Einfachheit des Lebens. Er ermutigt seine Leser, das Leben so anzunehmen, wie es ist, unabhängig davon, was das eigene Gottes-Ich in seinem Wahn verlangt. Es erfordert Mut, sich von den Illusionen der modernen Gesellschaft zu lösen und einen eigenen bescheidenen Platz im Leben zu finden. Die wahre Erfüllung und Kraft liegt jenseits von materiellem Erfolg und äußerlichen Maßstäben — sie kann durch eine echte Selbstannahme und die Akzeptanz der eigenen vermeintlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten erreicht werden. Der Autor schließt auch nicht aus, dass uns ein neues Gottesbild auf diesem Weg der psychischen Heilung helfen könnte. Ein solches Gottesbild sollte von bedingungsloser Liebe und Annahme geprägt sein und uns ermutigen, uns selbst und andere so anzunehmen, wie wir sind.

„Gottes Umzug ins Ich“ ist eine faszinierende Betrachtung über die tiefenpsychologische Suche nach dem Absoluten in unserer posttheistischen Gesellschaft und die daraus resultierende Selbstentfremdung des modernen Menschen, die Nelles bereits im Christentum angelegt sieht. Nelles‘ eindringliche Perspektive auf die Notwendigkeit der Selbstannahme bezieht sich nicht zuletzt auf unser ambivalentes christliches Erbe. Denn nur was wir uns ins Bewusstsein rufen, hört auf, unkontrolliert im Verborgenen zu wirken.

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