Wollte man in einem Wort beschreiben, worum es bei der Anliegenmethode von Prof. Ruppert geht, könnte man sagen: um Selbstbegegnung. Diese Selbstbegegnung vollzieht sich aus der Perspektive des eigenen Anliegens. Dieses zu finden, ist Ausgangspunkt der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie (IoPT).
Die Anliegenmethode bietet dem Klienten einen Rahmen an, in dem er selbst jene oft unbewussten Aspekte seiner Psyche betrachten kann, die mit seinem jeweiligen Anliegen verbunden sind. Dieses Anliegen zu formulieren, ist die Aufgabe des Klienten. Der Therapeut oder Begleiter mischt sich in den Prozess der Anliegensklärung nicht ein. Das soll garantieren, dass das Anliegen dem Klienten wirklich entspricht und er die Selbstbegegnung in die eigenen Hände nehmen kann, statt sich in die Hände eines anderen begeben zu müssen. Wo es um Traumafolgen geht, ist die Selbstbestimmtheit des psychischen Prozesses laut Ruppert besonders wichtig, weil sie den Klienten wieder zum Aktionszentrum macht, wo er zuvor die Erfahrung gemacht hat, ausgeliefert zu sein. Die Erfahrung zu machen, die Regie über die eigene Selbstbegegnung übernehmen zu können, bildet demnach die Grundlage therapeutischer Wirksamkeit.
Was aber sollte ich als Klient bei der Formulierung eines Anliegens grundsätzlich beachten? Wann ist ein Anliegen besonders hilfreich? Meine IoPT-Trainerin Vivian Broughton betont, dass das Anliegen eine eigene Absicht zum Ausdruck bringen sollte, für die man sich einsetzen will. Konsequenterweise übersetzt sie Anliegen mit Intention und Anliegenmethode mit Intention Method: Was willst du in deinem Leben erreichen? Was möchtest du ändern? Wofür möchtest du dich einsetzen? Was willst du hinter dir lassen? Was willst du fühlen? Was erkennen? Was integrieren? Vivian Broughton betont, dass ein bloßer Wunsch nicht ausreicht, weil er zu passiv ist. Hoffen ist nicht genug, wenn man sich wirklich ändern will.
Je klarer mein Anliegen formuliert ist, desto klarer kann in der IoPT-Arbeit sichtbar werden, was mich dabei antreibt, ob mein Anliegen gesund ist, und, falls ja: was mir bei seiner Erreichung im Weg steht. Klarheit heißt hier auch, das Anliegen mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen. Wo das nicht geht, sollte man schauen, ob man nicht mehrere Anliegen vermischt, und zunächst mit dem wichtigsten beginnen und damit arbeiten. Die anderen Anliegen kann man sich dann später anschauen.
Dabei hilft es, während man darüber nachdenkt, in seinen Körper hineinzufühlen, mit dem Körper wirklich verbunden zu sein. Denn in unseren Körperzellen ist die Erinnerung an unsere Traumata gespeichert. Die Stimme des Körpers kann uns deshalb den Weg weisen, wenn wir das Anliegen suchen, das unserer persönlichen Lebenserfahrung entspricht. Zugang zu dieser Stimme finden wir über unsere Gefühle. Nachdenken allein hilft da nicht weiter.
Wo das Anliegen noch einem kindlichen Anteil unserer Psyche entspringt, werden oft noch alte Überlebensstrategien verfolgt, die uns heute nicht mehr dienlich sind. Die zur Traumaintegration nötigen Ressourcen finden wir im Hier und Jetzt, in unserem erwachsenen Ich. Den Unterschied zwischen beidem in der IoPT-Arbeit zu erkennen, kann uns bereits einen großen Schritt voranbringen.
Wo die Anliegenmethode in der Gruppe angewandt wird, ist es die Aufgabe der Gruppenmitglieder, die einzelnen Teile der Psyche mittels stellvertretender Wahrnehmung sichtbar zu machen. Im Einzelsetting kann das auch der Therapeut übernehmen. Meine Aufgabe als Therapeut ist es außerdem, den Raum zu halten, also einen sicheren Rahmen zu wahren, wo Dissoziation und Retraumatisierung vermieden werden. Außerdem gehört es zu meinen Aufgaben, den Klienten dabei zu unterstützen, den Blick auf seine inneren Vorgänge zu schärfen, den Zugang zu Abgespaltenem wiederzufinden und ihn bei der Traumaintegration zu begleiten.
Wer sich auf diesen therapeutischen Prozess einlassen will, dem sei das kleine Handbuch zur Traumaheilung von Vivian Broughton mit dem Titel Zurück in mein Ich empfohlen.