Buchempfehlung

Peter Kingsley: Ein Buch des Lebens

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Der Niedergang einer Gesellschaft lässt sich nicht aufhalten. Nicht, wenn sie ihren ursprünglichen Geist, der sie einst groß werden ließ, verloren hat. Nicht, wenn ihre einzelnen Mitglieder den Zugang zu dem verloren haben, was sie wirklich ausmacht.

Der Autor beschreibt in seinem Buch des Lebens einerseits sein eigenes Leben, andererseits geht es ihm als Philosoph um das Leben selbst. Beim Lesen meint man zunächst in eine surreale Traumwelt einzutauchen. Doch je länger man liest, fragt man sich, ob diese Traumwelt nicht viel realer ist, als das, was wir gewöhnlich für real halten. Der Autor wagt einen Blick hinter die Oberfläche der Dinge. Er schaut dorthin, von woher das Leben wirklich genährt und gelenkt wird. Es ist sein persönlicher Blick auf die Welt, der inspiriert ist von dem griechischen Denker Empedokles, der ihm während seines Studiums in Cambridge begegnet und ihn nicht mehr loslässt. Er wird ihm zu einem ständigen Begleiter, der ihn schließlich auch zum Sufismus führt.


Englische Originalausgabe

Kingsley erzählt von seinen Reisen in die Türkei, seine Begegnungen mit muslimischen Mystikern, mit Schamanen, indigenen Stammesführern und Medizinmännern. Er beschreibt wie verschiedene Orte und Zeiten auf ihn einwirken und er sich ihrer jeweiligen Magie weder entziehen kann, noch will. Schließlich wirft sein Buch des Lebens die Frage auf, worin die Bestimmung des Menschen liege. Seine Antwort ist einfach und herausfordernd zugleich: Die Bestimmung des Menschen, so Kingsley, liege darin, fest gegründet zu stehen und sich der eigenen Gebrochenheit zu stellen: Jede Anstrengung sei dabei völlig nutzlos, ehe wir lernten, das Lied „unserer ursprünglichen Natur“ zu singen, wie die Vögel, welchen Kingsley geduldig und absichtslos lauscht, ganz in Resonanz mit ihrer wortlosen Sprache, verbunden im Fühlen dessen, was sie der Welt offenbaren wollen. Kingsley versteht sich selbst vor allem als Mystiker. Was er darunter versteht, beschreibt er so: „Ein Mystiker ist einfach jemand, der dreihundertsechzig Grad wachsam in jede Richtung ist, der keine Prämissen aufstellt und nichts für selbstverständlich hält, der keine Angst hat, in die Dunkelheit zu blicken, die alle anderen ignorieren.“

Sein Buch des Lebens atmet diese Grundhaltung und macht neugierig auf seine anderen Werke, welche einen Bogen spannen vom modernen Menschen hin zu seinen ursprünglichen spirituellen Quellen, welche er bereits vor vielen Generationen verloren hat. Letztlich hat mir die Lektüre des Buches auch selbst einen Spiegel vorgehalten. Ja, es wirft mich zurück auf mich selbst und meine eigene Suche. Jede Entfremdung, jeder gesellschaftliche Niedergang, jeder individuelle Zerfall birgt auch eine Chance in sich. Wo stehe ich dabei mit meiner mir innewohnenden Transzendenz? Wo kann ich in meinem eigenen Gebrochensein darin Sinn finden? Und Schließlich: Welcher Segen liegt verborgen in der Annahme meiner eigenen Dunkelheit?

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